Gewalt? Nicht so leicht, wie es aussieht

Dramaturgin Katharina Nay im Gespräch mit Annika Hauffe und Robert Höller über den Umgang mit gewaltvoller Sprache und Darstellungen physischer Gewalt auf der Bühne.

 

Katharina Nay: Die Premiere von NULLERJAHRE hat am 27.01.23 in Anwesenheit des Autors Hendrik Bolz stattgefunden. Zwei Tage später hattet ihr gleich die nächste Vorstellung und jetzt eine Woche frei bevor ihr die nächste Vorstellung spielt. Wie geht es euch?

Annika Hauffe: Es sitzt mir wortwörtlich noch in den Knochen (lacht), ich habe überall Muskelkater. Ansonsten bin ich glücklich, dass wir das so gewuppt haben und freue mich auf die nächsten Vorstellungen.

Robert Höller: Mir geht es gut. Beim Spielen entwickelt sich für mich ein Sog, der großen Spaß macht. Während des Stücks gibt es zwei sogenannte Stresskreise für die jeweils eine Person aus dem Publikum eine Loskugel ziehen muss. Der oder die gezogene Spieler:in muss sich dann zu lauter Musik sportlich verausgaben während die Kolleg:innen einen Kreis bilden.

 

KN: Wie anstrengend ist es für euch Nullerjahre zu spielen?

AH: Schon anstrengend. Nicht nur wegen des Stresskreises, sondern auch, weil sich der Inhalt auf den Körper überträgt. Der stetige Stress unter dem die Figuren stehen überträgt sich beim Spielen auf den eigenen Körper. In den Proben habe ich das unterschätzt, aber während der Vorstellungen wird es sehr deutlich. Dazu kommt, dass wir ständig zwischen unterschiedlichen Erzählperspektiven und -positionen wechseln, was eine hohe Konzentration erfordert.

RH: Wenn man beim Stresskreis ausgewählt wird, dann ist es wahnsinnig anstrengend (lacht). Nullerjahre ist ein sehr energetisches Stück und ich mag es immer gerne, wenn körperliches Spiel gefordert ist. Aber Der Zauberberg ist im Vergleich deutlich anstrengender über die Dauer von drei Stunden. Die Konzentration über drei Stunden zu halten ist schon etwas Anderes als sie bei Nullerjahre für eine Stunde und vierzig Minuten zu halten.

 

KN: Annika, du gehst während der Vorstellung ins Publikum, um Freiwillige zu finden, die Loskugeln ziehen. Wie ist das für dich?

AH: Unterschiedlich. Bei der letzten Vorstellung hat mich ein Schüler gesiezt, da habe ich mich plötzlich sehr alt gefühlt (lacht). Aber sonst ist es angenehmer als ich dachte. Natürlich muss ich austarieren, wie die Menschen drauf sind und wie nah ich ihnen kommen darf. Ansonsten finde ich es gut, das Geschehen zu öffnen und die Zuschauenden direkt zu beteiligen. Als ich das Publikum zum Anfeuern animiert habe und in der ersten Reihe mehrere ältere Damen begeistert mitgeklatscht haben, während der Kollege sich dem Stresskreis aussetzen musste, da habe ich mich kurz erschrocken. Es bleibt zu hoffen, dass wir Menschen während der Vorstellung oder auch danach dazu bringen Dinge infrage zu stellen, die sie an dem Abend nicht nur gesehen, sondern auch getan haben. Wie leicht sich eine Gruppendynamik von der Bühne auch auf das Publikum übertragen lässt, finde ich sehr interessant.

 

KN: Du, Robert, gehst als Herr Giese ins und durchs Publikum und wendest dich mit der Frage „Arsch oder Titten?“ an einzelne Zuschauende. Wie geht es dir damit?

RH: Es macht mir schon Spaß zu provozieren, kann ich nicht anders sagen (lacht). Und wenn man einmal vorher den Klappentext des Buches liest, dann weiß man ja auch worauf man sich einlässt. Für die Befragten ist der Moment unangenehmer als für mich. Gleichzeitig sehe ich die diebische Freude, die die Leute an meiner Unverschämtheit haben.

 

KN: Sowohl das Buch Nullerjahre von Hendrik Bolz als auch der Theatertext verwendet gewaltvolle Sprache und während des Abends macht ihr das Publikum phasenweise zu Mittäter:innen, indem ihr euch räumlich immer wieder zwischen und um die Zuschauenden positioniert. So werden sie zum Teil eurer Gruppe und ihr Schweigen lässt sich leicht als stummes Einverständnis zu dem werten, was die Gruppe jeweils mit den Einzelnen tut. Erinnert ihr euch noch wie es für euch während der Proben war einen Umgang mit dieser gewaltvollen Sprache zu finden und sich mit den Kolleg:innen auf ein Vorgehen zu einigen?

AH: Mit Mitte Zwanzig, in unseren Theaterkreisen, die hauptsächlich linksorientiert sind, bewege ich mich in einem Kreis von Menschen, in dem ich bestimmte (Schimpf)Wörter aus meinem Wortschatz gestrichen habe. Das Wort „Schwuchtel“ zum Beispiel verwende ich privat nicht. Im Gegenteil, ich tausche mich mit anderen zum Thema diskriminierungsfreie Beleidigungen aus, um keine bereits stigmatisierten Gruppen sprachlich weiter zu verunglimpflichen. Auf der Probe waren wir aufgefordert diese Worte plötzlich wieder zu verwenden. Zu sehen, wie schnell sich diese Sprache verselbstständigt, ist erschreckend und zeigt wie sehr die Gesellschaft und Gewohnheiten einen Sprachgebrauch und einen Umgang miteinander formt. In einem Stück in dem es permanent um die Fragen „Wer ist im Mittelpunkt?“, „Wer hat die Macht?“, „Wer ist das Opfer?“ geht, da vermischen sich manchmal Spielerebene und private Ebene und das macht die Arbeit zusätzlich anstrengend. Die Szene, in der Rosalba den kleinen Jungen spielt, der im Park verprügelt wird, habe ich fast nicht ausgehalten und mich plötzlich gefragt, welche Rollen den Frauen, welche den Männern zugedacht werden und warum? Wer wird warum eher Opfer oder Täter:in? Mit diesen Fragen bin ich in dieser Produktion ganz anders in Berührung gekommen als sonst.

RH: Meine Jugendfreund:innen und ich haben ganz ähnlich gesprochen. Das Wort „schwul“ haben wir beispielsweise ebenso gedankenlos verwendet wie die Jugendlichen im Buch. Diese Sprache für diese Produktion wieder zu reproduzieren, hat mich in vielen Dingen an meine Jugend erinnert. Ich erinnere mich gerne an meine Jugendzeit, auch wenn ich sie aus heutiger Perspektive natürlich in manchen Teilen anders bewerte oder bewusster anschaue als damals. Dabei kann ich Spiel und Alltag klar trennen, die Sprache, die wir auf der Bühne verwenden, hat sich nicht in mein privates Leben geschlichen. Je öfter wir die gewaltvolle Sprache reproduziert haben, desto selbstverständlicher gingen mir die Worte irgendwann von den Lippen. Dieser Prozess war sehr wichtig, damit ich mich nicht auf der Bühne beim Benutzen dieser Sprache den ganzen Abend schäme und jedes Mal hinterherschicke: „Ich meine das nicht so“. In dem Moment muss es ja überzeugend wirken. Meine Figur meint das, was sie sagt in diesem Moment so und entschuldigt sich natürlich nicht für die Art und Weise wie sie über z.B. Frauen redet. Zudem haben zwei männliche Kollegen und ich uns im Fitness Studio angemeldet, das hat auch geholfen.

 

 

 

KN: Hat die körperliche Ertüchtigung geholfen oder die Möglichkeit reale Vorlagen für Figuren auf der Bühne zu finden?

RH: Es hat geholfen unterschiedliche Männer und Männlichkeiten zu sehen. Mitzubekommen, wie die Typen dort angeguckt werden wollen. Was du an Gesprächen in der Männerumkleide mitkriegst, das ist sehr spannendes Material für Feldstudien.

 

KN: Eine Gruppendynamik folgt oft ganz eigenen Regeln. Die Gruppe der Schauspielenden in dieser Produktion besteht sowohl aus männlichen als auch weiblichen Personen. Mit Nina Gühlstorff hat eine Frau Regie geführt. Was glaubt ihr wäre anders gewesen, wenn ein Mann bei dem Stück Regie geführt hätte?

AH: Das ist schwierig zu sagen, weil ich natürlich bei einer Antwort sofort Gefahr laufe ein Männlichkeitsklischee zu reproduzieren, das ggf. auf denjenigen nicht zuträfe. Ich versuche es trotzdem einmal: Sicherlich wäre die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein männlicher Regisseur die Themen, die die Frauenrollen und eine Arbeit daran betreffen, nicht auf dem Schirm gehabt hätte.

RH: Das kommt sicherlich auf den Regisseur an. Ich beobachte eine Tendenz dazu, dass die Regisseure, mit denen ich in den letzten sieben Jahren in Schwerin gearbeitet habe, oftmals deutlicher eine Richtung vorgeben wohin gegen die Regisseurinnen ihre Proben tendenziell offener gestalten, sich der Probenprozess oftmals demokratischer gestaltet. Nina Gühlstorff hat sehr viel zugelassen, sich Unmengen an Angeboten angesehen und erst relativ spät Dinge festgelegt. Aber es gibt sicherlich auch Regisseurinnen, die von Beginn an sehr klar vorgeben, was sie sehen möchten. Aus meinen Erfahrungen lässt sich keine allgemeingültige Regel ableiten.

 

v.l.n.r Oscar Hoppe, Robert Höller, Emil Gutheil, Aaron Finn Schultz © Silke Winkler

v.l.n.r. Oscar Hoppe, Robert Höller, Emil Gutheil, Aaron Finn Schultz (c) Silke Winkler
 

KN: Wie ging es euch mit der Tatsache, dass ihr jeweils Kolleg:innen anderen Geschlechts auf der Bühne hattet bei diesem männlichen geprägten Stoff?

AH: Ich persönlich bin immer sehr schüchtern, wenn es um Kampfszenen geht, also körperliche Gewalt auf der Bühne. Meine männlichen Kollegen haben dazu in meiner Wahrnehmung einen leichteren Zugang, wenn es darum geht aktiv zu werden oder konkrete Vorschläge zu machen. Selbst, wenn ich Abläufe technisch gut beherrsche, bremst mich immer die Sorge jemandem wehzutun oder die Möglichkeit mich zu verletzen. Jedes Mal, wenn Aaron und Emil Robert in den Wassereimer tunken, stehe ich daneben und bewundere ihren Mut und das Vertrauen, dass dieser Vorgang erfordert.

RH: Das finde ich absolut richtig so. Zum einen gibt es nicht nur Männer- sondern auch Frauenfiguren im Roman. Zum anderen erzählen wir eine Geschichte über eine Generation und nicht nur über die Männer dieser Generation. Wenn ich misogyne Sprache verwende und aufgefordert bin auf der Bühne ein entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen, macht es einen deutlichen Unterschied, ob das in An- oder Abwesenheit von Frauen geschieht. Mir fiel es mit den Kolleginnen leichter, mich in der Arbeit respektvoll zu verhalten. Wie mein Tun und meine Sprache auf die Kollegen im Vergleich zu den Kolleginnen wirkt, ist sehr interessant und schafft ein anderes Bewusstsein während der Proben, das ich sehr wichtig finde. Manche Dinge konnten die Frauen im Ensemble auf eine andere Art und Weise beschreiben als die Männer. Das hat dazu geführt, dass wir nicht nur über eine weibliche Perspektive sprechen, sondern uns direkt mit ihr zu diesem Stoff auseinandersetzen konnten.

 

 

KN: Könnt ihr euch noch an eure Reaktion erinnern als ihr zum ersten Mal mit dem Roman also dem Thema und der Sprache konfrontiert wurdet? Konntet ihr an einem Punkt besonders gut oder gar nicht andocken?

AH: Ich konnte von der ersten Sekunde etwas mit dem Stoff anfangen. Ich finde es toll, dass ein Theater in Mecklenburg-Vorpommern einen Stoff behandelt, der in MV spielt, der eine Jugendkultur beschreibt und im Hier und Jetzt ansetzt. Als Schauspielerin möchte ich Menschen zusammenbringen, zum Nachdenken anregen und im besten Fall sogar Dinge verändern. Das können wir meiner Meinung nach mit diesem Stoff. Außerdem finde ich es wichtig, auch Geschichten von Menschen zu erzählen, die nicht zum Bildungsbürgertum zählen.

RH: Daran kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich habe es während der Proben für das Weihnachtsmärchen gelesen und dabei die ganze Zeit geflucht. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt: Was soll der Mist? Warum machen wir das? Es geht hier nur ums Saufen, nur um Drogen und Gewalt. Es ist nur schlimm, ekelhaft und für mich persönlich sehr schwer auszuhalten. Erst als wir uns eine Weile auf den Proben damit beschäftigt hatten, habe ich irgendwann den Wert der Auseinandersetzung damit erkannt. Ich glaube, wenn ich das Buch privat geschenkt bekommen hätte, hätte ich es wahrscheinlich relativ schnell weggelegt. Jetzt bin ich froh, dass ich diesem ersten Impuls nicht gefolgt bin. Es war kein Genuss, aber am Ende eine Bereicherung.

 

Veröffentlicht Februar 2023

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